Liebe Michelle
- Vera Rieger
- 15. Okt. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Gerade bin ich an der FHNW, vorhin fuhr ich mit dem überfüllten Lift in den 12. Stock, um in einem der bequemen Vitra-Sessel den Brief an dich zu schreiben, aber leider war keiner frei. Jetzt musste ich mir einen anderen Spot suchen (Ich mag keine Stühle). Das Sofa hier ist so semi-bequem und ich habe keine schöne Aussicht über den Güterbahnhof :( Hoffentlich finde ich trotzdem Inspiration.
Ich habe dir versprochen, heute über Rugby zu schreiben. Dazu passen auch ein paar Gedanken über Gewinnen & Verlieren, die mich in den letzten Wochen umtrieben. Aber zuerst zum Rugby. Am Wochenende haben wir den ersten Match der Saison gewonnen, das war echt cool. In der Woche davor durfte ich das erste Mal in der Starting 15 antreten, was für mich das grosse Ziel dieser Saison war. Da ich mich trotz unserer harten Niederlage gut geschlagen hatte (so gut, dass ich am nächsten Tag in Freiburg kaum mehr laufen konnte, mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz, ich habe es echt unterschätzt), wurde ich diese Woche wieder aufgestellt. Ich gebe dir eine unvollständige Kurzerklärung der Sportart (Da ich selbst noch nicht ganz alle Regeln verstehe, lol):
Es sind 15 Spielerinnen (parallel gibt es no 7-Rugby mit sieben Spielerinnen, das war olympisch, Ilona Maher spielt sevens), davon 8 forwards, das sind eher die kräftigeren Spielerinnen, die durch Körpereinsatz Meter gewinnen, eine scrum half & eine fly half, die beide als Bindeglied von den forwards und den backs fungieren, welche hinten, eher flinker, schmaler, schneller sind und mehr rennen müssen. Srum & fly half gehören auch zu den backs. Alle Positionen haben spezifische Namen, ich bin auf dem Flügel, das ist vergleichbar mit dem Flügel bei anderen Feldsportarten. Dass der Ball nur nach hinten geworfen werden darf und man nach vorne rennt, weisst du schon. Wenn es gelingt, ihn über die Linie zu bekommen, nennt man das try, das gibt 5 Punkte. Dies erlaubt auch einen Kick durch die typischen weissen Stangen, der gibt noch einmal 2 Punkte. Dann wird viel getakelt, was zu Rucks führt (die getakelte Person geht zu Boden und wird von den anderen «beschützt» (also der Ball), bei knock-ons (der Ball wird nach vorne gespielt, zählt aber auch, wenn er aus der Hand fällt, also ein Pass nicht gefangen wird) und anderem gibt es einen scrum, wo die forwards diese typische Schildkrötenformation machen. Das «bestrafte» Team kann versuchen, den Ball zu sich zu stossen, meistens gewinnt aber die Mannschaft, die den scrum erhält. Mehr musst du dir auf Wikipedia zusammensuchen oder so. It’s confusing. Ich habe ein bisschen Angst, etwas Falsches zu schreiben, da ich weiss, dass unsere Team Managerin und Ex-Captain das hier liest. (Shout out)
Mein erster Match mit der ersten Mannschaft war in Genf, da habe ich zwar nicht viel gespielt, aber es war sehr schön. Die eine von uns hat ein 6-monatiges Baby, das kam dann einfach mit und wurde auf der Seite von einer verletzten Spielerin betreut, in der Garderobe danach wieder gestillt, zwei andere, etwas ältere Kinder einer Teammate spielten mit ihrem Vater auf einer Picknickdecke an der Seitenlinie. So ein Frauenteam ist etwas sehr Schönes, die Unterstützung untereinander ist gross. Wir haben seit kurz bevor ich dabei bin auch (anscheinend endlich) ein Pärchen im Team. Ich glaube ausserdem, dass es gerade für junge Mütter, die in der Gesellschaft oft zurückstecken, wenn es um Hobbys geht, eine wichtige persönliche Ressource sein kann. Zu Reibereien kommt es trotzdem (kam es letztens und ich wusste nicht warum, da ich zu fest Küken bin). Diese Dinge sind für mich alle neu, da ich zum ersten Mal ein Teamsport mache. Meine Aufstellung im Team hiess für zwei andere, die etwas länger als ich dabei sind, dass sie nicht starten konnten. Wie ich mit solchen Dingen umgehe, muss ich noch lernen. Natürlich gebe ich mein Bestes, ich habe Glück, dass ich schnell und robust bin, bin aber auch ehrgeizig, will spielen und als Team gewinnen. (Nächste Woche wird sehr hart, da spielen wir gegen das beste Team)
Dies bringt mich zum nächsten Punkt, in der letzten Woche war ich sehr erfolgsverwöhnt. Ich habe nämlich meinen ersten Slam gewonnen! Das war sehr cool, denn der amtierende Schweizermeister Valerio Moser wurde Zweiter. Ich habe ihn im Finger-Faust-Kampf um eine Person geschlagen, pures Glück (das ganze Publikum hält einen Finger oder Faust hoch, sucht einen komplementären Partner, setzt sich und dann wird geschaut, wer als letztes noch steht). Das ist jetzt reines Gebluffe, ich weiss, aber da das unser Blog ist, glaub okay. Dann habe ich noch erfahren, dass ich in einer Literaturzeitschrift veröffentlichen kann. Diese Dinge und meine Reaktion darauf haben mich zum Nachdenken gebracht. Mache ich Dinge, die ich wirklich liebe, oder suche ich mir einfach Sachen, in denen ich brilliere? In den letzten Jahren hatte ich viele Misserfolge, das fand ich unschön, was sicherlich eine normale Reaktion ist. Es ist auch ein Grund, weswegen ich mit dem professionellen klassischen Singen aufgehört habe – ich war nicht gut genug. Ich war das Kind, dass alles kann (ausser Zeichnen). Ich glaube, solche frühkindlichen Erfahrungen sitzen tief und sind nicht immer hilfreich. In den letzten Jahren hatte ich oft das Gefühl, den in dieser Zeit geformten Erwartungen an mich (von wem?) nicht gerecht zu werden. Aber bin ich immer noch das Kind, welches hoffte, beim Völkerball die Letzte auf dem Feld zu sein, die Teenagerin, die sich auf jede Prüfung freute, auf jede Notenrückgabe hin fieberte und übertrieben nach Bewertung lechzte? Ich hoffe nicht. Ehrgeizig und kompetitiv werde ich immer sein, das sind auch Eigenschaften, die ich an mir schätze, aber ich möchte mich nicht darüber definieren. Jetzt wird es etwas kitschig, aber die schönsten Momente meiner letzten Wochen waren unser Wochenende in Freiburg, die Party bei L. am Freitag mit besten Freund:innen und besonders die unzähligen kuscheligen Minuten, in denen ich mit F. während einem guten Essen One Tree Hill schaute (es wird immer besser, omg!!) oder gepuzzelt habe. Es heisst zwar immer, man sollte sich nicht über seine Beziehung oder Freunde definieren, aber ich finde das gar nicht so schlecht. Professionell scheint es mir, dass mein Plan, die Kunst neben dem Studium und Brotjob zu verfolgen, aufgehen könnte. Das macht mir Mut. Aber mal schauen.
Weisst du was, ich habe zu viel über mich gelabert, obwohl das hier der Sinn ist, habe trotzdem das etwas unangenehme Gefühl, aber vielleicht kann ja jemand etwas davon mitnehmen, ich wollte mich heute kurzhalten, aber das finde ich echt schwer. Hier also noch die Kategorien:
Etwas zum Glotzen: Am Sonntag habe ich viel zu viele doofe Doks geschaut. Unter anderem «Krause kommt» mit Cathy Hummels (ARD-Videothek). Ich weiss nicht, ob es eine Empfehlung ist, aber danach habe ich unsere Wohnung tiefengereinigt, also falls wer Motivation zum Putzen braucht, empfehle ich die Dok.
Etwas zum Lesen: Ich schwör, ich habe ein bisschen gelesen, aber nichts Empfehlenswertes und ich will keine Bücher mehr empfehlen, wo ich auf Seite 10 bin.
Etwas zum Hören: Shape of my heart von Sting.
Etwas zum Essen: Indisch Tandoori-Paneer mit Reis.
Wort der Woche: erfolgsverzettelt.
Alles Liebe aus Muttenz
Vera
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