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Liebe Michelle

  • Vera Rieger
  • 26. Nov. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Kannst du dich noch erinnern: Wir sassen gelangweilt an einem grauen Winternachmittag im Mathematikunterricht, plötzlich hob jemand aus der Klasse die Hand, zeigte aus dem Fenster und sagte „Es schneit!“. Dann ging ein Raunen durch die Klasse, eine freudige Nervosität schwirrte über den Köpfen von uns Jugendlichen, niemand mehr dachte an den Unterricht. Es war das Gefühl des ersten Schnees. Diese Szene durfte ich letzte Woche das erste Mal aus der anderen Perspektive erleben. Ich stand am Lehrpersonenpult und konnte der Klasse zusehen, wie sie sich über den ersten Schnee freuten, es war echt schön - und was für ein erster Schnee! Auf meinem Nachhauseweg ging ich noch im Joggeli vorbei, als ich wieder herauskam, war es nicht nur schon dunkel, sondern es lagen auch schon mindestens 5 cm, so ging es ja dann den ganzen Abend und die ganze Nacht weiter. Abends hatte ich noch Training und musste danach eine Stunde lang durch die verschneite Stadt nach Hause laufen, da kein ÖV mehr fuhr. Ich war nicht alleine - überall stapften Leute nach Hause, das kreierte eine lustige Stimmung. Es gibt zwei Dinge, die ich besonders mag, wenn es wirklich viel Neuschnee hat: Die Helligkeit und die Stille. Schnee macht den dunklen Dezember ein wenig erträglicher, da es dann nachts gar nicht wirklich dunkel wird. Du hast mir am gleichen Abend noch geschrieben, dass du eifersüchtig bist, dass ich jetzt über den ersten Schnee schreiben kann, nun, tut mir leid ;)

 

Heute Montag hat es gefühlt schon wieder 15 Grad, ich schwitze in meiner Winterjacke, das letzte Bisschen ist schon fast weggeschmolzen. Es ist etwas schade, da ich einen Schneeabend verpasst habe: Ich war am Freitagabend am Konzert von Zaho de Sagazan in Strasbourg, ganz alleine. (Dort hatte es keinen Schnee) Es war cool wieder mal etwas auf eigene Faust zu unternehmen, habe ich schon öfters gemacht. Aber ich war noch nie auf einem Konzert, also einem Popkonzert, alleine. Ich glaube allgemein, dass es das erste Popokonzert war, bei dem ich die Initiative selbst ergriffen habe. Bei vielen Konzerten bin ich mit euch mitgekommen, das war immer nice, ich kann auch in der ersten Reihe tanzen und so tun als würde ich die Band kennen, indem ich den Refrain nach einmal hören sehr laut mitgröle und bei der Strophe meine Lippen bewege. Ich bin ein sehr guter Fakefan, aber bei Zaho musste ich kein Fakefan sein, tatsächlich konnte ich drei Lieder ganz auswendig und kannte wenigstens die anderen. Keine Riesenleistung, ich weiss, ich schreibe hier an eine Switfy, aber für mich ist das schon eine Leistung. Das Konzert war schön, musste nicht so fest weinen, wie ich gedacht hätte, aber schon ein bisschen. Ich war in der ersten Reihe und dann hat sie mich einmal sehr intensiv angschaut ;)

 

Auf dem Weg zu der Arena - ich musste umständlich durch irgendein Parking laufen, eine Anfahrt mit ÖV war da glaub nicht gedacht  - hatte ich ausserdem eine erfreuliche Realisation. Vor einem Jahr hätte ich mich auf ein solches Konzert nicht freuen können. Ich hätte mir gedacht: die Frau, die da auf der Bühne steht ist gleich alt wie ich und hat schon SO viel erreicht und was habe ich erreicht? NICHTS. Dieser Gedanke hätte mich dann davon abgehalten, dass Konzert wirklich zu geniessen. Das hatte ich bei vielen Dingen, die ich konsumierte. Ich war so dumm, ich weiss, heute bin ich zum Glück etwas pragmatischer und sehe ein, dass man nicht NICHTS erreicht hat, nur weil man kein Popstar ist, lol. Aber kennst du den Gedanken?

 

Nun will ich noch 2 Dinge erzählen. Ich war beide letzte Sonntage auf einem FCB Match, eimal von den Frauen und einmal von den Männern. An den Frauenmatch im Rankhof bin ich zur zweiten Halbzeit spontan rangelaufen auf einem Sonntagsspaziergang über den Rhein. Ich sah die Lichter und dachte mir, ich gehe mal schauen. An einem Punkt musste ein ein wenig weinen, das passiert mir oft, wenn mich Dinge so sehr berühren, wenn viele Menschen in einer Menge für eine Sache kämpfen, die ich auch gut finde. (z.B an Demos habe ich das oft). Bei diesem Match sah ich das potenzial von Frauenfussball, es hatte nur 800 Fans, aber die waren alle voll dabei und wenn dann so Kinder die Nachnamen von den Spielerinnen dem Speaker nach einem Goal laut nachschrieen hatte das eine revolutionäre Kraft irgendwie, weil das ungewöhnlich ist und wir es uns nicht gewohnt sind, zu sehen wie auch eine Mehrheit von Männer (waren die Zuschauer hätte ich gesagt) für Frauen fanen.

 

Der Match gestern war natürlich auch mega cool, weil Shaqiri ein HATTRICK getroffen hat und ich hatte ein Shaqiri Trikot an, es musste Glück gebracht haben. Es war mein allererstes Mal an einem Profifussballmatch, das ist mir etwas peinlich, dass hier zu gestehen. (Ausser FC Liestal gegen FCB im Gitterli im Cup 2009 oder so zählt auch). Zudem hat mir L. das auf Geburtstag geschenkt, sehr gutes Geschenk. Jetzt müssen wir nur noch DOPPELTER MEISTER werden und damit meine ich nicht Cup und Superleague sondern MEISTER UND MEISTERIN quasi und dann ist die Welt in Ordnung.

 

Ansonsten läuft mein Leben, muss viel Unterricht planen (mühsam) für real oder PH, gebe auch viel Schule im Praktikum auf dem Land, wo die Kinder langweilig sind (sorry) und als Stellvertretung in der Agglo, wo die Kinder crazy sind (positiv). Ich habe gedacht, dass es vielleicht besser ist, die Orte nicht mehr zu nennen, aber hier zwei Anekdoten noch von den jeweiligen Orten:

 

Land: Die Stunde beginnt 7:35, die Jugendlichen kommen herein, sitzen 7:33 still an ihren Plätzen und schweigen einfach 2 Minuten straight. Sie SCHWEIGEN. wtf, das überfordert mich, haben die sich nichts zu sagen?

 

Agglo: Im Deutsch haben wir Debattieren als Thema gehabt, dann hab ich mit ihnen Teile der Arena zur Autobahnabstimmung geschaut, danach mussten sie sich in eine Ecke stellen, je nach dem, ob sie dafür oder dagegen wären. Fast alle Jungs waren dafür und alle Mädchen dagegen, 14-Jährige scheinen auch nur ein Abbild der Gesellschaft zu sein, aber glücklicherweise haben dieses Wochenende wir Frauen gewonnen!! In der Stunde habe ich meine Meinung natürlich nicht gesagt, ich habe mich so profesch gefühlt. (Bestes Argument: „ich finde, wir sollten nicht immer nur Dinge für die Umwelt, sondern auch mal Dinge für uns tun“)

 

Ok, Kategorien, schon zu lang hier, der heutige Tag ist so an mir vorbeigezogen, war auch den ganzen Tag müde (wegen Tage) und jetzt ist es halb acht abends und ich schmeiss mir gerade einen Emmi Café Latte rein im Zug, um doch noch etwas vom Tag zu habe. (Und ich hatte Zwibelechueche vom Zwibelemärit; ist heute)

 

Etwas zum Lesen: Das neue Buch von Éduard Louis: Effrondement, hab ich am Samstagmorgen in Strasbourg gekauft und am Sonntagmorgen fertiggelesen, gibt es glaub noch nicht auf Deutsch, er schreibt aber in sehr einfachem Stil, falls du also immer noch das Ziel hast, mehr französische Bücher zu lesen: Lies es! Ich würde 5 Sterne geben. Es geht um den Tod seines alkoholkranken Bruders, ziemlich schonungslos, muss ich sagen, auch was Gewalt angeht, aber ich mag das an Louis. Ich finde, er zieht die Grenzen passend. Habe einige Bücher von ihm gelesen, weiss nicht, ob er nur als Gesamtwerk funktioniert, da alles autobiografisch ist, aber ich glaube, man versteht es auch so.

 

Etwas zum Glotzen: The next merry christmas, erster Weihnachtsfilm, den ich geschaut habe auf Netflix dieses Jahr. War banger. Man checkt sogar erst so nach 15 Minuten, wie er ausgehen wird, nicht schlecht für rom com.

 

Etwas zum Hören: Aspration, Zaho de Sagazan (Es ist das letzte Mal, das ich etwas von ihr empfehle, ich schwöre, ich weiss, dass du es nicht fühlst, aber jetzt dachte ich, ich darf noch eimal.

 

Etwas zum Essen: Zwibelechueche.

 

Wort der Woche: Spiralenektomie.

 

Alles Liebe

 

Vera

 
 
 

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