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Liebe Michelle

  • Vera Rieger
  • 22. Jan.
  • 5 Min. Lesezeit


Ich sitze, während ich das hier schreibe, in einem Kaffee, heute habe ich den ganzen Tag Praktikum, aber jetzt gerade so etwas wie Zimmerstunde. Irgendwie ist schon einiges passiert und ich bin aufgewühlt wegen des Weltgeschehens, aber eigentlich wollte ich dir von meinem letzten Mittwochmorgen erzählen und allgemein noch einige Worte zum Januar dalassen. Deswegen eins nach dem anderen.


Nach meinem sanften Start ins neue Jahr auf den Langlaufskis in den Bergen wurde ich danach heftig vom Alltag überrollt. Ich musste in der ersten Woche neben Unterrichten für Geld (Stellvertretung) und Unterrichten ohne Geld (Praktikum) noch zwei Arbeiten schreiben, eine unwichtig in 2h mit gpt verfasst, da sie eh niemand liest und die andere eine Abschlussarbeit in Französischdidaktik, die mir wichtig war, da ich mich beweisen wollte.  Ich hatte das Abschlussmodul schon im ersten Semester belegt, es ist das einzige benotete Modul und ich wollte zeigen, dass das keine schlechte Entscheidung war.


Am Mittwochmorgen musste ich also um 6 Uhr aufstehen, um 6:20 Uhr den Bus zu nehmen, um aufs Land zur Schule zu gelangen. Nach einer Stunde apathischen Unterrichtens (weil erste Stunde) hatte ich de fakto schon wieder Feierabend. Ich schliff auf der Zugfahrt zurück in die Stadt an den letzten Details meiner Arbeit herum. Die Deadline war an dem Mittwoch, aber ich hatte zuerst gedacht am Sonntag davor, weswegen ich gar nicht so spät dran war. Danach wollte ich im Migros am Bahnhof noch etwas zum Frühstück kaufen. Beim self check out fand ich mein Handy nicht, es wäre meine einzige Zahlungsmethode gewesen, da ich das Portmonee nicht dabeihatte. Ich wusste, dass ich es im Zug noch gehabt hatte, da ich mir Hotspot gegeben hatte für meinen Mac.  Richtig angeschissen stellte ich das kleine Migrosplastiksäckchen mit den überteuerten veganen Jogurts irgendwo in ein Regal und stapfte schnaubend aus dem Laden. Direkt zum Fundbüro im Untergeschoss, wo sie mich darauf hinwiesen, dass mein Zug noch im Bahnhof stand. Ich hastete dorthin – der Zugbegleiter hatte nichts gefunden – bis ich genau vor dem Abteil stand, wo ich davor gesessen hatte. Dort sass eine Frau, ich fragte sie, ob sie mein Handy gesehen hätte. Sie verneinte, schaute um sich und fand nichts. Auch am Boden war nichts zu sehen. Danach lief ich mit etwas Resthoffnung noch einmal zum Kundendienst der Migros und zum Fundbüro. Nichts. Auf dem Weg nach Hause wandelte sich mein Anschiss in Wut um, Wut auf mich selbst, dass ich immer alles verlieren musste, aber auch Wut auf die Welt, da die Welt mich ja so gemacht hat, wie ich bin und weil sich meine Wut grundsätzlich immer nach aussen und nicht nach innen richtet. Ausserdem war ich wütend auf diese scheiss Arbeit, die in den letzten Tag so vollumfänglich mein Hirn und meine Konzentration in Beschlag genommen hatte. Ich stellte mir vor, was ich nun alles machen musste; neues Handy kaufen, neue Sim-Karte, alle Apps neu etc. Zu guter Letzt vergas ich, am Aeschenplatz aus dem Tram auszusteigen (das passiert mir IMMER) und sah, wie der 3er (mein nächstes Tram) auf dem Weg zum Bankverein das Meine kreuzte. Hass auf die Welt auf Höhepunkt. Um meiner Wut etwas Luft zu lassen, ging ich in den Coop und klaute ein Schoggibrötli. (Es gibt schlimmere outlets und ich habe mir für diese Kleinkriminalität noch viel zu viel Mühe gegeben). Zuhause ortete ich das Handy und bemerkte, dass es doch immer noch im Zug war. Immerhin. Der war auf dem Weg nach Zürich. Nun also smart play. Ich rief W. an, die momentan gerade in Zürich in der Wohnung von A. wohnte, der in Brasilien war. Ich erklärte ihr mein Problem, sie machte sich parat, während ich dem Handy auf find my device gemütlich zuschaute, wie das Handy bis nach Zürich fuhr. Als W. pünktlich zur Zugeinfahrt am Bahnhof war, facetimeten wir auf Whats App und ich führte sie zu meinem Abteil. Und siehe da: Das Handy lag zwischen den Sitzen. Dumme Frau, dachte ich, war aber mehrheitlich erleichtert. Inzwischen hatte ich aus Frust noch meine zwei Arbeiten abgeschickt. Schnell, schnell. Am Nachmittag schlief ich und war danach noch erschöpfter als davor. Abends kauften wir noch ein neues Sofa im Micasa. Highlight des Jahres bisher.

 

Nun also Sprung zu heute. Gestern hat Elon Musk auf der Inauguration von Trump sehr öffentlich den Hitlergruss gemacht. This is happening. Und heute Nachmittag (also jetzt gerade) muss ich eine Stellvertretung in Geschichte machen, in der es um die Propaganda von Hitler im 3. Reich geht. Ist das nicht irgendwie absurd? Wäre es meine Aufgaben, auf diese krassen Missstände aufmerksam zu machen? Das überfordert mich in meiner Position als Lehrperson, die Weltsituation an sich überfordert mich schon. Ich hab dazu eine Instastory gemacht und hab breites Feedback von verschiedenen Seiten erhalten, ich bin natürlich nicht die einzige, die das beschäftigt, anscheinend auch in Bezug zur Frage nach unseren Grundwerte. Mit einer Freundin diskutierten wir, ab wann Neutralität nicht mehr bedeutet, sich auf keine Seite zu stellen, sondern sich klar auf die Seite der Demokratie zu stellen, da ich deren Rechte doch verpflichtet bin? It’s too much. Die SuS hatten keine Lust auf Geschichte und ich keine Lust zu sagen, achtung, der mächtigste Mann der Welt ist imfall ein Nazi und das ist vielleicht nicht so cool, deswegen spielen wir jetzt 'geo guesser'.

 

Also jetzt war in dem Moment. Jetzt bin ich auf dem Nachhauseweg. Das wars für heute, aber erst noch zu den Kategorien und dann zu was sehr Schönem!


Etwas zu Essen: Wintersalat: Chicorée mit Orangen, Nüssen und Zwiebeln an italienischer Sauce.


Etwas zum Glotzen: Ich habe am Wochenende ENDLICH Wicked gesehen. Fand ihn super, aber der ganze Film fühlt sich wie ein einziger Aufbau an, irgendwie passiert nichts. Trotzdem toll, als ich diese Wunderwelt wieder verliess, hatte ich keine Lust mehr auf die echte. (vor allem nicht auf Montag, es war Sonntagabend). Wir müssen mal ins Kino beim Stücki zusammen, dort öfter hingehen ist ein weiterer Vorsatz von mir.


Etwas zum Lesen: Auch endlich hab ich '22 Bahnen' von Caroline Wahl gelesen. Sehr leicht und sommerlich, eignet sich gut für schlaflose Winternächte (im Winter vergesse ich manchmal einfach, dass es Sommer gibt). Etwas klischiert und das Ende versinkt im Kitsch, aber lohnt sich trotzdem, da page turner. (Ich will nicht sagen, dass es ein leichte Thema ist, es geht um Alkoholismus, aber manchmal hat es mich an 'Maya und Domenico' erinnert, so eine Jugendbuchreihe, die ich immer in der Sek las)


Etwas zum Hören: Tango, Astor Piazolla, macht auch Lust auf Süden und Sommer.


Wort der Woche: Technazis.


Das Schöne: Unsere wundervolle Freundin M. hat für uns alle Wörter der Woche des letzten Jahres zusammengesucht, da wir so unglaublich faul sind. DANKE! Hier sind sie:


Jetlagperiode

Weltseinsamkeit

Winterangst

Küchenkaraoke

Kurzatmigkeit

Mittelmehrjahr

silveschtere

Santichlauslampefieber

Spiralenektomie

Geburtstagsvorfreude

kleinlaut

Captain Claire

erfolgsverzettelt

skibidi toilet


Bitte schreibt uns, welches ihr am liebsten mögt, damit wir das Wort des Jahres 2024 küren können. Danke!

 

Alles Liebe

Vera

 

PS: habe meine Abschlussarbeit in Didaktik erfolgreich abgeschlossen, einzig Rechtschreibung war nicht so gut und Reflexion, da ich mich selbst nicht kritisiert habe, lol.

 
 
 

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