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Liebe Michelle

  • Vera Rieger
  • vor 3 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

Letztes Mal habe ich dir versprochen, dass ich schon von Sizilien schreiben werde diese Woche. Dabei hatte ich mich verrechnet, denn es waren noch 3 Wochen dazwischen. Wie immer bin ich verspätet, dieses Mal aber mit gutem Grund, wobei Aufschieben natürlich trotzdem dazu gehörte.


Zum Kontext: ich sitze gerade im Easy Jet-Flieger, der in 10 Minuten starten wird. Meine grösste momentane Sorge ist, dass ich Thrombose bekomme im rechten Bein, ich steigere mich gerade überproportional in diese Angst rein, doch es gibt auch einen Grund dafür. Ich weiss, fliegen ist scheisse, aber ich wollte unbedingt unsere Freundin L. in Palermo in ihrem Austausch besuchen und wir mussten alle feststellen, dass es sehr zeitintensiv ist, mit den ÖV nach Palermo zu kommen.


Nun aber zu der Storytime. Die letzten zwei Wochen waren anstrengend und wie eine richtig vorbildliche Lehrerin wurde ich am letzten Schultag krank, ich wachte nachts mit starken Schluckschmerzen auf. Irgendwie quälte ich mich dann trotzdem noch durch den Tag. Am nächsten Tag stand ein harter Rugbymatch auf dem Plan. Schweren Herzens meldete ich mich ab. Da in unserem 2. Team schon alle unsere Auswechselspielerinnen aufgestellt waren und es die Regeln gibt, dass man nicht in 2. Teams am gleichen Tag starten kann, willigte ich ein, die ersten 5 Minuten trotzdem zu spielen und dann rauszugehen. Ich machte dann aber den Fehler, mich nicht aufzuwärmen. Ehrlich gesagt, war ich auch einfach voll spät dran, mir selbst gegenüber entschuldigte ich es mit dem Umstand, dass ich aufgewärmt dann trotzdem durchgespielt hätte. So stand ich etwas unsicher beim Anpfiff auf meiner Position. Unser Team hatte einen starken Start. Es war mit den Trainer:innen ausgemacht, dass ich nach 5 Minuten auf die Knie gehen und die Hand heben würde; Zeichen, dass es nicht mehr geht. Nun, ich nahm das etwas zu ernst. Nach fünf Minuten bekam ich den ersten Pass, zögerte und schaute herum, rannte, wurde getakelt, mein Bein knickte rechts ab und ich verspürte einen immensen Schmerz im rechten Knie. Ich schlug ab und ein Physio kam mir soeben zu Hilfe. Mein Team dachte sich: «Boah, Vera, die hat das echt glaubhaft gemacht», zuerst dachte das auch F., der da war zum Zuschauen. Etwas zu glaubhaft.

Von einem kräftigen Mann wurde ich dann ab dem Feld getragen und wir fuhren noch mit einer anderen in die Merian Iselin Klinik, wo sie einen Ultraschall machten und mir einen Termin fürs MRT gaben. Eine Krücke in jede Hand und eine Schiene um das rechte Bein, schon konnte ich wieder gehen.


Sonntag chillte ich viel, ich war ja auch noch krank eigentlich, Montag hatte ich schon wieder einige Dinge für die PH zu tun, hauptsächlich online.


Mein MRT war Dienstag in der Früh, um 06:50, was eine Zeit, danach fuhr ich an die PH und hatte den ganzen Tag Kurse. Dienstagabend war ich sehr ausgeglichen, hatte seit Langem wieder eine vermisste Leichtigkeit gefunden. Ich hoppelte zuhause rum mit einem Deo als Mikrofon in der Hand, übte vor dem Spiegel Witze oder Geschichten erzählen. Der Druck der Zeit zwischen Fasnachts-und Frühlingsferien liess langsam nach. Kurz fragte ich mich, ob ich vielleicht nur am Faken war, und eigentlich gar nichts hatte am Knie. Vielleicht nur eine Prellung. Ich stellte mir vor, wie ich am Tag danach in der Praxis dieses Arztes wäre und der mir erklären würde, dass auf dem Bild nichts Ungewöhnliches zu sehen wäre, wie peinlich. Dann hoffte ich insgeheim, dass dem nicht so wäre.


Heute morgen war ich in der Praxis des Orthopäden in der Cross Klinik, und was für einem Orthopäden. An der Wand links hing neben den schimmernden Diplomen ein Bild von Hakan Yakin mit einer handgeschriebenen Widmung und an der Wand rechts die Wimpel von vielen verschiedenen Fussballteams, ich glaube auch Nationalteams, aber vielleicht übertreibe ich jetzt auch ein bisschen. Er redete schnell und viel, drückte auf dem Knie herum, ich spürte schlecht, dass es zu wenig hielt. Ich verstand aber: vorderes Kreuzband durchgerissen, OP in 6 Wochen, weil die restlichen leichter beschädigten Dinge noch heilen muss und vor allem: 1 Jahr kein Rugby. Meine Angst war unbegründet, der Schlag ins Gesicht kam aber noch nicht an. F. begleitete mich, das war nett, er wurde im Protokoll als Lebenspartner vermerkt (Der Doktor hatte so ein Diktiergerät, bei dem er immer auch die Kommas und Satzzeichen sagte, ich glaube das sollte durch AI verbessert werden, so ein krasser Arzt hätte verdient, dass er nicht Kommas sagen muss). Das fühlte sich erwachsen an, aber auch gut.


Ich werde die OP Anfang Juni an einem Mittwoch haben, weil «Mittwoch ist Kreuzbandtag». Ab diesem Satz musste ich ein wenig lachen. Danach meinte er noch, dass ich trotzdem in die Ferien gehen könne, fliegen sei aber keine gute Idee, das betonte er, wegen desThromboserisikos. Ich sagte, es seien nur 2 Stunden und nun versuche ich so oft wie es geht, aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen. Der Arzt hatte dann nicht mehr so viel Zeit, musste gleich weiter, denn schliesslich ist heute auch Mittwoch und Mittwoch ist Kreuzbandtag, er musste dann schnell ein Kreuzband flicken gehen.


Am Flughafen hatte ich ein Rollstuhlservice, dieser wurde mir fast schon aufgeschwatzt, als ich gestern angerufen hatte, um zu sagen, dass ich mit Krücken komme. Der war ehrlichgesagt weniger spektakulär als erwartet.


Ich habe das Ganze noch nicht verarbeitet. Im ersten Moment war ich erleichtert, dass ich trotzdem meine Sachen im Mai machen kann, auf die ich mich so sehr freue, z.B. die Poetry Slam Schweizrmeister:innenschaften, (8.Mai in Basel Tickets https://www.chslam.ch/programm. Das Semester sollte ich auch fertigmachen können.


Doch kein Rugby zu spielen tut richtig weh, ich bin dies vorher beim take off im Kopf durchgegangen. Ich habe mich sehr auf das Sevens spielen gefreut, eine andere Form mit sieben Spielerinnen, diese Spiele sind im Juni und ich weiss, dass ich dafür aufgrund meiner Geschwindigkeit gemacht bin und es sicherlich so viel Spass gemacht hätte. Aber auch das wöchentliche Training, welches sich nun seit einem Jahr immer wie mehr als Routine etabliert hat, brauche ich auch psychisch als Ausgleich. Gerade auch in stressigen Zeiten. That sucks, aber ja, ich bin nicht die einzig Verletzte, weder die Erste noch die Letzte, kann trotzdem zu den Spielen mitgehen, bald schon Krafttraining machen. Den mentalen Support vom Team so zu spüren, tut sehr gut.


Für den nächsten Monat bin ich 100% krankgeschrieben, das ist zum einen blöd, da ich weniger verdiene und zum anderen, da ich das Gefühl habe, ich könnte schon unterrichten, bin einfach langsam zu Fuss. Ausserdem tut es mir leid für die Klasse, wir haben uns langsam gefunden. Gleichzeitig gibt es mir ein bisschen Luft, die ich auch gebrauchen kann. Vielleicht kann ich von L. lernen, die das alles schon hinter sich hat, gleichzeitig weiss ich auch, dass es für sie schwerwiegender war, da ich nicht in allen Tätigkeiten komplett verhindert bin.


Ich hoffe, dass ich im Sommer trotzdem baden, spazieren und den Süden geniessen kann. Aber jetzt erstmal mit hochgelagertem Bein in Palermo Apérol schlürfen und an nichts denken.


Ich habe kein Himmelbild, zur Trauer des Tages schicke ich ein schlimmes Rugbybild. Schlimm, wegen Mundschutz, Anspannung, schlechte Frisur etc.


Nun noch zu den Kategorien:


Etwas zum Hören: I said I love you first, das neue Album von Selena Gomez und bennyblanco, zum Teil überproduziert und genaustens auf Streamingdienste zugeschnitten, aber oft auch sehr schön und abwechslungsreich, finde ich.


Etwas zum Lesen: Marina Lenky, Was man von hier aus sehen kann.


Etwas zum Glotzen: Der Cypherpart von Flavio Stucki. Legende.


Etwas zum Essen: Improvisierte Empanada, heisst; angebratene in Scheiben geschnittene Kartoffeln mit Ei drüber.


Wort der Woche: Kreuzbandschiss. (kann so viel heissen, sehr stolz.)


Alles Liebe

Vera



PS: Die Flugbeleiterin gerade so: «Laaadies, wir haben im Moment eine mega schöne aviatarwatch an bord, würde ich mir nicht entgehen lassen»,


PS2: Ich habe gestern im Vorfeld des CH-Slams ein Interview für die Volksstimme gegeben, mein erstes Interview ever, nur dank BL roots! (Baselbiet, würde A. sagen) Ich schreib dann darüber, wenn es raus ist.





 
 
 

1 Comment


Pippa
Pippa
vor 3 Tagen

Gueti besserig Vera! Gönn dir die Aperols und feine italienische Spiise in Palermo <3

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