Liebe Vera
- Michelle Harnisch
- 30. Dez. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Hach, ich weiss ehrlich nicht, wie ich diesen Brief beginnen soll. Ich weiss, ich habe den letzten ausgelassen. Nicht, weil ich ihn vergessen habe, sondern weil ich vor zweieinhalb Wochen noch weniger wusste, was ich aufschreiben sollte. Zu sagen, die letzten Wochen waren durcheinander und chaotisch, wäre zu kurz gegriffen. Du weisst es schon, aber ich hatte mich zum Zeitpunkt, als ich den letzten Brief hätte schreiben sollen, aus meiner langjährigen Beziehung getrennt. Ich kann das nicht auf eine Art und Weise in Worte fassen, die ich hier posten möchte, aber du warst ja live dabei. Viele Gespräche an meinem und deinem Küchentisch, auf meinem und deinem Balkon, viele Zigaretten, viele Tränen. Dass das alles eine Woche vor Weihnachten war, hat natürlich nicht geholfen. Ich möchte gar nicht zu sehr darauf eingehen, aber das ist mein momentaner Kontext. Viele Gefühle, die ich gerade sortiere und viele Gespräche mit Freund*innen und meiner Familie.
Natürlich stand das unserem Weihnachtsmarathon (mittlerweile «nur» noch drei Mal) ein bisschen im Weg. Mein Bruder nennt es übrigens liebevoll den «Weihnachts-Hattrick», was mich jedes Mal zum Lachen bringt. Ich war über die Tage auch noch so halb krank, deshalb muss ich ehrlich sagen, dass ich das alles nicht so sehr geniessen konnte, wie ich es sonst vielleicht gekonnt hätte. Natürlich war es trotzdem schön, die Familie, die man übers Jahr nicht so oft sieht, wiederzusehen, aber da war schon eine Art Schatten über allem. Heiligabend war sowieso etwas anders als die letzten Jahre, da es den Stiefgrosseltern nicht mehr so gut geht und sie nicht mehr so lange mögen. Darum war es dieses Mal feiern nur zu sechst mit meiner Stiefmutter, meinem Vater, den Stiefbrüdern und meinem Bruder. Die Stimmung war gemütlich, dann wieder ausgelassen, es wurde viel gelacht, viel gegessen. Bei uns war es schon früher selten wirklich besinnlich, mein Vater würde jedes Jahr aufs Neue gerne singen, wird aber immer überstimmt, und Geschenkte gibt es natürlich auch nicht mehr so viele wie früher. Aber ich habe es echt genossen, nur zu sechst zu feiern. Je älter wir alle werden, desto eher kommen mittlerweile noch Plus Eins und andere dazu, aber nur so im Kern zusammen zu sein, fühlte sich dann auch wieder einmal schön an. Nichts gegen die Plus Eins, die mag ich auch, aber dieses Jahr im Besonderen war es für mich gerade sehr okay, haben sie gefehlt. Wir haben Raclette/Tischgrill gegessen, haben Geschenke geschenkt und bekommen, dann haben wir zwei Runden Dog gespielt. Wir alle an einem Tisch mit einem Brettspiel in der Mitte fühlte sich fast an wie in den frühen Ferien in dieser Familienkonstellation. Als wir uns alle noch nicht so gut kannten, uns aneinander gewöhnen mussten, uns aber über die Jahre immer mehr fanden. Und das sind doch ganz wertvolle Erinnerungen, die da in mir hochgekommen sind.
Dieses Jahr gab es auch nicht drei Mal Raclette, wie in anderen Jahren, worüber ich ebenfalls froh war. Nur zwei Mal und mit einmal Fondue Chinoise dazwischen (ich weiss nicht, ob der Name noch zeitgemäss ist, aber Fleischfondue klingt irgendwie zu ranzig). Ich habe schon lange nicht mehr so viel Fleisch konsumiert, kann ich dir sagen. Besagtes Fondue gab es eben am 25. Dezember, den wir in dem Dorf nahe Bern verbrachten, wo immer noch ein grosser Teil unserer Familie wohnt. Im Haus, wo meine Grosseltern früher wohnten, als mein Grossvater noch gelebt hat, wo wir als Kinder Wochenenden mit den Cousins verbracht haben, in dem jetzt mein Gotti und ihr Mann wohnen. Auch das fühlte sich immer noch sehr heimelig und irgendwie passend an. Dort vibten wir am Cousin*en-Tisch (wo ich die einzige Cousine bin), rauchten auf der Terrasse (rauchen mit meinem Gotti ist ein absoluter Vibe, das kann ich dir sagen), übergaben unsere Wichtelgeschenke und liessen den Abend eher gemütlich ausklingen. Mein Bruder und ich mussten am nächsten Tag mittags wieder bei meinem Vater sein für das Fest mit seinem Teil der Familie, daher fuhren wir am gleichen Abend noch zurück nach Basel. Ich habe gemerkt, dass es (abgesehen vom Corona-Weihnachten) das erste Mal ist, dass ich nach Weihnachten in meinem eigenen Bett geschlafen habe. War aber auch okay, ehrlich gesagt. Abends noch einen Moment allein in der WG zu haben, hat meine Batterien wieder etwas aufgeladen.
Am 26. Dezember dann ging es wieder zu unserem Vater, wo eben besagter anderer Teil der Familie zum Raclette eingeladen war. Es war gemütlich trotz meinem Käse-Overload, mein Bruder und ich redeten viel mit unserer jüngeren Cousine und unserem jüngeren Cousin, was ich immer mag. Ich habe es letztes Jahr schon geschrieben, aber Kinder an Weihnachtsfesten verleihen dem Ganzen schon noch einmal eine andere Art von Festlichkeit. Sie freuen sich so ungeschminkt über Geschenke und haben einen gewissen Zauber für die Festtage in sich, auch wenn das kitschig klingt. Das grösste Argument an diesem Tag fand zwischen meinem Bruder (22) und meinem Cousin (10) statt, weil mein Bruder ein FCB-Shirt trug und mein Cousin ein YB-Shirt. Klassiker, sag ich dir.
Auch wenn die Tage alle okay waren, merkte ich doch, wie anstrengend sie auch immer sind. Das Bier und die Zigaretten mit S. und L. am dritten Abend waren dann schon eine willkommene Abwechslung. Auch der Kaffe mit (der anderen) L. und dir am 24. Dezember am Morgen hat gutgetan. Die Familienfeste mit Gesprächen mit Freundinnen zu umrahmen war eine gute Entscheidung. Ich habe in den letzten Tagen generell gemerkt, was ich wirklich an meinem Umfeld habe. Natürlich wusste ich das schon vorher, aber es so sehr zu spüren, wie jetzt gerade, ist sehr viel wert und ich schätze es wirklich ungemein. Zum einen bin ich froh, habe ich mich auch während meiner Beziehung immer auf genügend verschiedene Anlaufstellen gestützt statt auf eine einzige Person, zum anderen bin ich auch einfach froh, sind alle meine Freund*innen solche Schätze. Ich habe die letzten Tage, Wochen viel telefoniert, habe mich oft mit dir und anderen getroffen. Ich feiere mit euch allen Silvester und Ende dieser Woche fahre ich noch drei Tage mit zwei Freundinnen weg. Obwohl ich, glaube ich, wirklich nur sehr selten vergesse, was ich an all diesen Personen habe, ist es mir in diesen letzten beiden Wochen doch noch einmal sehr bewusst geworden. Darum Küsse an alle, dich eingeschlossen.
So, das war jetzt alles sehr kitschig und sehr emotional und es folgt ein krasser Cut, aber ich muss noch zwei Dinge erwähnen. Immerhin habe ich in meinem letzten Brief den Dorfausgang angeteasert. Kurz dazu: Vor drei Wochen gingen wir mit einige vom Handball (hauptsächlich die üblichen Verdächtigen) nach dem Match (den ich leider immer noch nicht gespielt habe) an eine Ballermannparty im Dorf. Iconic. Normalerweise zieht sich alles in mir zusammen, wenn ich an den Ballermann denke, aber es war wirklich ein Fest. Wir alle haben uns sehr auf die Musik eingelassen und es war echt witzig. Ich war schon lange nicht mehr in einem Club, bis das Licht anging, und auch wenn der Pizza-Automat am Bahnhof nicht funktioniert hat und niemand bei der Hotline abgenommen hat, als wir dort um viertel nach vier Uhr morgens angerufen haben, war der Abend doch ein ziemlicher Erfolg. Ich war um viertel vor sechs zu Hause, was auch schon lange nicht mehr passiert ist. Nur die Kopfschmerzen am nächsten Tag hätten nicht sein müssen. Aber was will man machen? Manchmal muss man halt ein bisschen über die Stränge schlagen. Dann war am 27. Dezember auch noch L.’s und meine Geburtstagsparty, auf die ich mich schon eine ganze Weile gefreut habe. Sorry, Party gleich nach Weihnachten ist eine super Idee, finde ich immer noch. Ein guter Kontrast zu Familienfeiern. Auch die war irgendwie nicht ganz einfach, ehrlich gesagt, aber ich habe mich über alle gefreut, die gekommen sind, wir haben einen 5 Liter Pitcher mit Wodka Lemon gefüllt, was ein absoluter Slay war, und ich habe eine von vier Runden im Bierpong gewonnen (lol). Das Team bestehend aus nur Handball-Leuten war überraschend schlecht im Bierpong, muss ich leider zugeben.
Ich glaube, das war das Wichtigste. Ich weiss nicht, was ich sonst noch aufschreiben sollte, darum mache ich hier den Schluss. Geniess die Kategorien.
Etwas zum Glotzen: Ich habe «Wicked» endlich gesehen und der Film ist sooooo gut! Er hat mich wirklich nicht enttäuscht und obwohl er länger als zwei Stunden geht, und ich sonst keine Fan von so langen Filmen bin, hat er mich absolut abgeholt. Auf ganzer Linie. Ich bin obsessed mit Jonathan Bailey, der wirklich slayt in seiner Rolle. Und ich war wirklich begeistert von Ariana Grande. Ihre physical Comedy ist sooooo gut. Absoluter Must Watch, sag ich dir. Du musst noch ins Kino. Ich komm auch ein zweites Mal mit, falls du niemanden sonst findest!
Etwas zum Lesen: In meinem Break-Up-Schmerz brauchte ich etwas, das ich kenne, und von dem ich weiss, dass ich es liebe. Daher habe ich in den letzten zwei Wochen die ganze «The Raven Cycle» Reihe noch einmal gelesen. Ich habe hin und her gewechselt zischen den Hörbüchern und den Büchern. Je nach Situation. Ich liebe, liebe, liebe diese Reihe, ich lese sie mind. einmal im Jahr und sie enttäuscht mich einfach nie. Die Hörbücher sind alle vier auf Englisch auf Spotify, der Sprecher ist okay, auch wenn ich mich an den Southern Accent gewöhnen musste. Diesen Büchern gehört wirklich mein Herz.
Etwas zum Hören: Ich habe vor einigen Wochen den Podcast «Las Culturistas» von Matt Rogers und Bowen Yang entdeckt, obwohl es ihn schon seit Ewigkeiten gibt. Absoluter Banger. Ich empfehle vor allem die Episode mit Charli XCX, aber auch ihre Folgen nur zu zweit sind wirklich gut. Sie reden vor allem über Pop-Kultur, Internet und Promis.
Etwas zum Essen: Diese basic Lindt-Pralines, die man immer geschenkt bekommt, die es in der pinken und blauen Packung gibt. Ich habe dieses Jahr bei vielen Leuten deutlich erwähnt, wie sehr ich Praline liebe und es hat sich offensichtlich gelohnt, denn ich habe drei von den grossen Boxen bekommen. <3
Wort der Woche: «silveschtere» bestes Wort, sorry
So, das nächste Mal hört (liest?) man sich im 2025. Ich freue mich auf Silvester mit euch, auf meine Ferien. Im nächsten Brief dann ein Recap, wie es um meine 2024-Vorsätze steht (Spoiler: nicht gut). Vielleicht muss ich auch noch einige 2024-Favoriten besprechen, mal sehn. Ich habe viele Ideen und hoffe, ich bin wieder etwas sortierter beim nächsten Mal. Ausserdem feiern wir bald unser 1-Jähriges, Vera, wie krass ist das denn! Ich freue mich jetzt eigentlich doch aufs 2025 und auf alles, was noch kommt. Han di gärn!
Alles Liebe, Michelle
PS: Hier noch ein Vorher und Nachher von besagtem Slay-Pitcher:


(Die andere) L. kann bestätigen: Der Kaffee an Heiligmorgen war eines ihrer Highlights während der Weihnachtstage. 💛